Edgar Jené - Die Katze im Werk des Surrealisten Edgar Jené (1904 - 1984)
von Monika Bugs
Bethsabé, die schwarze Katze, hat das Haus eines Künstlers für ihr Leben gewählt. Es ist eine Mühle aus dem 14. Jahrhundert in La Chapelle St. André, an einem Bachlauf gelegen, inmitten der alten Landschaft des Nièvre in Burgund. Die Mühle, Demeulaine, mit ihren verschachtelten Räumen, Kaminen, ist das rechte
Gehäuse für eine Katzenseele. Spätabends schleicht sie durch das Atelier mit Bildern, vollendeten und
unfertigen auf der Staffelei, afrikanischen Masken, Ammoniten, einem Engelskopf aus Holz, Malutensilien,
Farben, Pinseln und Stapeln von grafischen Blättern. Denn zu nächtlichen Stunden zeigt sich schon mal
einer der Dachbewohner, ein Siebenschläfer auf dem Gebälk, leichte Beute für eine Katze. Tagsüber, wenn
ihr nicht gerade nach ausgedehnten Spaziergängen mit ihrer ‚Menschin’ ist, die sie schon mal mit einem
Handwagen durch den Garten schiebt, macht Bethsabé es sich nicht selten auf einem der alten
französischen Sessel im Salon gemütlich. Und mögen die anwesenden Gäste, und deren gibt es viele im
Haus, auch noch so bedeutend sein, die Hausherrin respektiert die Katze und zieht zur Kaffeestunde
mitsamt der Gästeschar schon mal an einen anderen Tisch, um den Schlaf der Katze nicht zu stören. Die
Mahlzeiten nimmt Bethsabé nicht selten am Tisch ein, auf dem Tisch, ein Tischdekor der besonderen Art.
Leben wie eine Katze in Frankreich...
Der Künstler: Edgar Jené. Er lebt seit 1965 in Demeulaine, mit seiner Frau, der Kinderbuchschriftstellerin
Erica Lillegg. Er hat die alte Mühle zu seinem Gesamtkunstwerk gemacht, ob ein Geländer aus Holzfiguren,
Möbel, der alte Mühlstein, der als Tisch dient, Steinfiguren im Garten, vieles atmet seinen Geist. Mit dem
Künstlerpaar lebten immer Katzen, eine nur Chatte genannt, Modelle für Zeichnungen und Grafiken, und ein
Hund, ein Pfeffer-Salz-Schnauzer, Gegenspieler der Katzengesellschaft, Schnock, der nicht selten Jagd auf
die Katzen machte. Frieden gab es kaum zwischen den beiden Welten. Hund und Katzen teilten sich das
Haus gleichsam in zwei Hälften auf. Schnock erlangte auf seine Weise bei den Gästen Berühmtheit, er war
nur zum Fressen zu bewegen, wenn Edgar Jené sein tägliches Ritual vollzog, den Napf mit einem Stock hin
und her schob und er sich dann, gereizt und voller Wut auf seine Mahlzeit stürzte. In einer Radierung krönt
Jené ihn gar zum König, seine Majestät Schnockassa I – der wahre Herrscher im Hause Jené.
Die Katze – kein Tier wurde in der Geschichte der Menschheit so verehrt wie die Katze und keines so
verfolgt wie sie. In Ägypten stand die Katzengöttin Bastet (1) an der Spitze der Gottheiten, in Gestalt einer
Frau mit dem Kopf einer Katze galt sie als Göttin der Fruchtbarkeit, Liebe und Wärme. Man feierte Feste zu
Ehren von Bastet. Der Tod einer Katze bewirkte große Trauer, und man mumifizierte sie wie die Menschen.
Im europäischen Mittelalter wurde die Katze mit dem Bösen, dem Teuflischen gleichgesetzt und nicht selten
in Verbindung mit Frauen, den so genannten Hexen gefoltert und getötet. Die Katze – verehrt und verfolgt
wie die Frau. Katzen und Frauen sind verwandte Seelen. Schönheit und Anmut wie Eigensinn, Sinnlichkeit
und vorausahnende Fähigkeiten spricht man beiden zu.
Die Gesellschaft der Künstler und Schriftsteller, großer Denker, deren Liebe der Katze gilt, ist groß,
unermesslich die Zahl der künstlerischen und literarischen Werke, inspiriert von Katzen. Zeugnisse finden
sich in fast allen Kulturen und Zeiten seit den ersten Darstellungen in Ägypten. Und wie viele fotografische
Portraits sind uns vertraut, die Künstler und Schriftsteller in Gesellschaft ihrer Katze zeigen.
Edgar Jené malt sein erstes Katzenbild 1924, 20jährig. 1904 in Saarbrücken (St. Johann) geboren, führen
ihn seine Studienjahre nach München und Paris. Das Bild mag noch in München oder schon in Paris
entstanden sein. Jené zeichnet die Ruhe einer Katze, das geduldige Ausharren beim Warten auf Beute oder
auch das genießerische Nichtstun, zur Aufgabe erhöht, den Traum einer Katze? Die Katze scheint aus sich
heraus zu leuchten. Und man erinnert sich eines späteren Wortes von Maurice Nadeau, ein Weggefährte
Jenés in Pariser Surrealistenkreisen über dessen Werk: „Welt des Schattens und der Nacht, in der kein
Licht leuchtet als das des Gesteins (...). Welt des Traumes, von der man aus Erfahrung weiß, daß hier
keine Sonne scheint, die ihre tausend Gestaltungen vertreiben würde.“(2) Die Raumangabe beschränkt sich
auf einen hellen Boden oder Tisch vor einer Wand, einem Fenster oder einer Tür, der Raum um die Bildfigur
bleibt unbestimmt – ein charakteristisches Merkmal der Bilder Jenés. Jené baut die Bildkomposition
malerisch auf, in gebrochenen Farben, den Bildhintergrund in dunklem Blau mit grauen, grünen, braunen
Nuancen und einem dunkelroten Akzent in der Horizontalen, die vordere Ebene in hellen erdigen Farben,
aus der die Katze ausgrenzt ist, mit dunklen Flecken in eine Form gebracht; lichte Linien scheinen die Figur
zu umschmeicheln, wie um sie zu schützen. Ein helles Bildfeld im Hintergrund umspielt sie wie eine Aura.
Das Bild weist die Farbpalette dieser Jahre auf, Erdfarben und gedeckte Blaunuancen in einem eher
dunklen Grundklang.
In den 20er Jahren erscheint die Katze auch in Zeichnungen. In Verbindung mit der Frau. Sinnlichkeit, die
Verbindung zweier Menschen – ein Thema des jungen Künstlerlebens. Wie viele Künstler sucht Jené die
geheimnisvolle Beziehung zwischen Frau und Katze bildnerisch einzufangen. In einer Kreidezeichnung
skizziert er eine Frau, einen weiblichen Akt im Dreiviertelprofil nach links. Das Gesicht ist mit Auge und
Mund nur angedeutet, die Proportionen des Körpers sind unwesentlich. In einem Sessel sitzend, nein: sich
zu einer Seite drängend, der Katze Raum gebend, beugt die Frau sich liebevoll zu ihr hin, ein unsichtbares
Band verbindet sie. Flüchtige lockere Linien bezeichnen Figur und Sessel, im Zusammenspiel mit leichten
und dichteren Bahnen des Kreidestiftes. Frau und Sessel werden zur Einheit, die gebeugten Arme der Frau
finden sich in ähnlicher Form, wiederholt beziehungsweise gespiegelt in der Armlehne des Sessels rechts.
Die Bildfigur selbst ist Raum. Es ist die kleine Welt einer Frau mit Katze im Schutz eines Sessels. 1928
entsteht eine Tuschezeichnung mit einer Katze. Ein Paar, die Frau in einem Sessel sitzend mit Katze, der
Mann stehend, legt seinen linken Arm um die Schultern der Frau. Linien umschließen die Figuren.
Schraffuren, Zickzacklinien verdichtet, stellenweise überlagert, vermitteln Räumlichkeit, Licht und Schatten,
und sie wirken trennend zwischen Frau, in ihrem ‚Gehäuse’ des Sessels, in Innigkeit mit der Katze, und
Mann, wenn auch die Komposition beide verschmelzen lässt. Die Körper entsprechen der Anatomie,
während die rechte Hand der Frau nur drei Finger hat, die Köpfe gesichtslos – Ovale mit Schraffuren, die sie
plastisch erscheinen lassen, dunkle Augenhöhlen im Gesicht des Mannes korrespondieren mit den hellen
der Katze. Eine Darstellung des verfremdeten Menschen, die an die Pittura metafisica eines Giorgio de
Chirico erinnert, eine der ‚Ahnenkünste’ des Surrealismus. Eine weitere Tuschezeichnung zeigt ein Mädchen
mit Katze, ohne Angabe der Räumlichkeit. Die Figur scheint im Raum zu schweben. Das Motiv: das
Festhalten der Katze, dargestellt in wenigen prägnanten Linien. Das Gesicht des Mädchens trägt
katzenhafte Züge. Mit beiden Händen sucht sie die Katze zu halten, den Kopf zwischen den Schultern
eingezogen, wie die Katze angespannt, einen Augenblick lang innehaltend, scheu, eigensinnig beide.
Bis 1928 lebt Jené in Paris, der „Heimat der Freiheit“, wie er diese pulsierende Stadt einmal nennen wird, in
der er 1950 erneut, für fünfzehn Jahre leben wird. Die 20er Jahre – Zeit der Suche, des Studiums vor Ort, in
Museen, im Louvre, das fruchtbarer ist als das an der Akademie. Es ist auch die Zeit des Broterwerbs, Jené
verdingt sich mit Plakatmalerei und Entwürfen für Filmkulissen. Wohl aus wirtschaftlichen Gründen kehrt er
1928 für sieben Jahre nach Saarbrücken zurück.
In seinem Frühwerk bis in die 30er Jahre hinein ist der Mensch ein Thema für Jené, der Mensch, in späteren
Werken in mythische Gestalten oder surreale Chiffren verwandelt. Neben Landschaften, mit Versatzstücken
der Wirklichkeit, und Stillleben entstehen Portraits. Sich selbst stellt er nur selten dar, früh in
Schülerzeichnungen, 1925 zeichnet Jené sich in Auseinandersetzung mit Albert Weisgerber als Märtyrer in
dem Bild „St. Sebastian“ (3), 1930 noch einmal „Im Atelier“. Neben Bildnissen der Familie und von Freunden,
Liebespaaren malt Jené Portraits und Aktbilder von seiner ersten Frau Charlotte, genannt „Coco“ und
Portraits von seinem Sohn Tom (4). In einer Reihe von Aquarellen deuten leuchtende fließende Farben und
wenige prägnante Linien die dargestellten vornehmlich weiblichen Modelle – Künstler und die Frauen...
Nach vereinzelten Beispielen wie dem Portrait von A. P. Gütersloh (1945) (5), wird Jené dieses Thema erst
1950 noch einmal aufgreifen, in einem Bildnis seiner Frau Erica (6), ihr Antlitz gefangen in Schicksalsfäden,
Sinnbild seiner Sorge um sie, die lebensbedrohlich erkrankt war. In Saarbrücken besucht Paul Westheim den jungen Maler in seinem Atelier und nennt Jené einen „ganz und gar malerischen Maler“ (7). Paul Westheim, Herausgeber der Zeitschrift Das Kunstblatt, gilt als zentrale Vermittlerpersönlichkeit der Moderne im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. 1930 veröffentlicht er Jenés Bild „Mädchen mit Katze“ im Kunstblatt und zeigt es in der Kunstblatt-Ausstellung. Das Gemälde ist nur in einer Schwarz-Weiß-Abbildung bekannt. Jené ‚säkularisiert’ das traditionelle Thema Mutter und Kind in Mädchen mit Katze. Bild füllend, ohne Angabe des Raumes, blickt uns eine Frau entgegen. In einem Sessel hält sie eine Katze im Schoß, umfasst sie liebevoll mit ihrer rechten Hand, entspannt, den Kopf zu ihrer Linken geneigt, beide in wohltuender Harmonie, Ruhe und Anschmiegsamkeit ausstrahlend, auch Melancholie, die den Portraits von Coco zueigen ist. Die Frau ist nicht benannt, aber das Modell war vermutlich Coco, mit ihren dunklen Augen, den hohen Wangen und dem schwarzen Pony. Die Bildfigur ist gleichsam zergliedert in Farbflächen, gestaltet nach dem Prinzip der Collage und unter dem Eindruck kubistischer Kunst. Gesicht, Dekolleté und Ärmel der Bluse scheinen hell auf und festigen die Komposition als pyramidales Dreieck. Konturen umzeichnen Hand der Frau und Katze wie schon im frühen Katzenbild von 1924.
Von Saarbrücken aus reist Jené immer wieder nach Paris, Paris – auch der Ort der surrealistischen Bewegung. 1930 situiert sich ein für Leben und Werk des Künstlers entscheidendes Ereignis, Jené entdeckt das Zweite Surrealistische Manifest von André Breton und die Collagen „Femme 100 têtes“ von Max Ernst (8).
Der Surrealismus wird bis zum Ende seines Lebens sein Denken und künstlerisches Handeln bestimmen.
Der Surrealismus sei der Katalysator seiner Welt gewesen, erinnert sich Jené später. Im Nachlass von
André Breton erhielt sich ein Exemplar der 1948 in Wien erschienenen Schrift von Paul Celan, Edgar Jené.
Der Traum vom Traume
9
; es trägt eine bekennende handschriftliche Widmung von Jené: „à André Breton, à
l’homme que j’estime le plus au monde / Edgar Jené / octobre 1948“. Im selben Jahr richtet Breton Jené
eine Einzelausstellung 10
in der Galerie La Dragonne Nina Dausset in Paris aus. Es ist die Zeit nach dem
Krieg in Wien, in der er als „militanter Surrealist“, wie er sich nennt, zum Förderer und Vermittler des
französischen Surrealismus wird, als Bildredakteur der Zeitschrift Plan, als Mitherausgeber der
Surrealistischen Publikationen, in denen erstmals surrealistische Texte in deutscher Übersetzung
erscheinen, als Verfasser von Schriften zum Surrealismus. Jené führt die surrealistische Gruppe im Art Club
an. Sein Atelier in einem „zerbombten Haus“ am Althanplatz wird zu einer ‚kulturellen Institution’, Künstler,
Literaten und Schauspieler treffen sich dort, darunter die Künstler der späteren Wiener Schule des
Phantastischen Realismus. Die Verbindung von Literatur und Kunst gehört zum Surrealismus wie zu Jené,
sie gipfelt in der Freundschaft zu Paul Celan. Die Todesfuge von Celan inspiriert Jené zu einer Zeichnung.
Celan widmet Jené in seiner ersten Gedichtsammlung Sand aus den Urnen das Gedicht Erinnerung an
Frankreich. Ein gewichtiges Zeugnis ihrer Freundschaft ist die Schrift: Edgar Jené. Der Traum vom Traume.
Mit Paul Celan und Arnulf Neuwirth organisiert Jené 1948 die erste Surrealistische Ausstellung in Wien.
Doch vor dieser Zeit liegt der Krieg. Krieg – ein Thema, das Jenés Werk durchdringt. Nach Jahren des
Reisens, der Flucht vor dem Nationalsozialismus, der inneren Emigration entgeht auch Jené der
Einberufung zur Wehrmacht nicht. Er ist Dolmetscher in einem Kriegsgefangenenlager in Gneixendorf in der
Wachau. In Zeichnungen 11
, die schon 1945 veröffentlicht werden, und Bildern mit mythologischen
Gestalten, Göttern, blutrünstigen Ungeheuern zeichnet Jené die Greuel des Krieges, die sich tief in sein
Bewusstsein eingegraben haben. Hoffnungslosigkeit breitet sich über die entmenschten Landschaften.
In den 40er Jahren beginnt Jené, befreit von der Last des Krieges, Phantastisches zu zeichnen.
Märchenhafte Wesen wie Nereïden, Gläserne Schwestern, Die Spinnenfee, Der Sohn des Nordlichts 12
(eines der Bilder, die Celan in seiner Schrift deutet) ziehen in seine Bildwelt „vom Traume“ ein. Bisweilen
karikiert er die Welt. Seine Zeichnungen illustrieren Zeitungen; in der Welt am Montag erscheinen Hund und
Katze, linear in sich geschlossen, personifiziert, als Protagonisten von Intoleranz, unvereinbarer Sprachen.
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