Flüstern der Katze
Monika Bugs oder Die Souveränität der Verletzlichkeit Auf alten Karten findet sich für unerschlossene, noch nicht kartographierte Räume
Monika Bugs Katzen sind in diesem Sinne Löwen. Sie sind zugleich Mahnmale und Wächterfiguren jener dunklen Welt, die uns im Letzten umgibt, die Teil unseres Selbst ist. Jene fragilen Bleistiftzeichnungen, von denen diese Ausstellung eine Auswahl präsentiert, jene feinsten Linien und Schraffuren, die ihre Blätter strukturieren, lassen den Raum zwischen Innen und Außen ungeheuer schmal werden. Wie auf den alten Weltkarten ist die Katze eine Chiffre für das Unbekannte, die Gefahr, die außerhalb ist und zugleich in uns. Sie verwischt die systematische Trennung von innerer und äußerer Welt, die unsere Zivilisation erdacht hat und mit Unbedingtheit zu verteidigen sucht, und verweist darauf, daß alle unsere Wege mehr innere Räume durchmessen als äußere. Warum dies im Bild der Katze geschieht? Vielleicht weil diese Spezies so weit von uns entfernt ist, daß nicht der Schatten einer Verwandtschaft auf unser Verhältnis fällt. Vielleicht, weil in dem solchermaßen unbedingt Anderen das Eigene deutlicher hervortritt. Aber ich möchte nicht den Versuch unternehmen, Monika Bugs' Bilder zu interpretieren und zu verstehen. Müssen Bilder, so fragte der Maler Balthus einmal, müssen Bilder denn unbedingt etwas bedeuten? Ist es nicht vielmehr so, daß hier eine Künstlerin ihre Aufgabe, ihren Ruf ernst genommen hat und unerschrocken aufgebrochen ist in die Welt ihres Inneren und daß auf diesen Wegen Landkarten entstanden sind, die nicht mehr das nur Individuelle verzeichnen, sondern im Subjektiven das Allgemeingültige und Überzeitliche - wie dies jedes Kunstwerk, das seinen Namen verdient, tut? Bis zu den Bleistiftgebieten, die wir am heutigen Morgen schauend durchmessen dürfen, war es ein weiter Weg: Monika Bugs ist nicht nur Künstlerin sondern auch Kunsthistorikerin. Vor einigen Jahren nutzte sie ein seit Winckelmanns Tagen gebräuchliches Abreib-Verfahren zur Wiedergabe gravierter Inschriften, um in der Basilika Saint-Remi in Reims Frottagen mittelalterlicher Steintafeln anzufertigen. Diese Technik ist, wenn sie nur aus kunsthistorischer Perspektive zum Einsatz kommt, ein bloßes Kopierverfahren. Monika Bugs erzeugte jedoch keine reinen Abbilder, sondern übersetzte, das alte, in Stein gemeißelte Bild in ein anderes, zeitgenössisches künstlerisches Medium. Das eigentümliche Spannungsverhältnis zwischen Stein und Papier markiert nicht nur die zeitliche Differenz zwischen dem Mittelalter und der Gegenwart, sondern auch die ideengeschichtliche. Daß sie sich dabei der Frottage bediente, ist kein Zufall. In den frühen zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts hatte der Maler Max Ernst dieses Verfahren für die bildende Kunst neu entdeckt und weiterentwickelt. Die Frottage eröffnete ihm eine weitere Möglichkeit, dem Unbewußten, das in uns west, eine ästhetische Form zu geben. Die surrealistische Bewegung um den französischen Schriftsteller André Breton, zu der Max Ernst zeitweilig gehörte, unternahm unterschiedlichste Anläufe, jene Dunkelheiten zu verbildlichen, sie in Kunstwerke zu übersetzen. Vor dem Hintergrund der in diesen Jahren noch neuen Entdeckungen Sigmund Freuds und Carl Gustav Jungs spiegelt sich im Surrealismus das Bestreben, sich dem Rätselhaften und Hermetischen des menschlichen Seins zu nähern.
In dieser Tradition stehen die Zeichnungen von Monika Bugs. Das vielstimmige Flüstern der Katze ist der Versuch, hinter die Erscheinungen zu blicken. Hinter dem rein Phänome- nologischen, hinter der in Variation wiederkehrenden Form eines Katzenkopfes scheinen rätselhafte Gesichte auf, stets im Profil, stets den in die Leere weisenden Blick gesenkt, eröffnen sich Einblicke in unendliche Räume. Und wie in jedem wirklichen Kunstwerk findet sich in diesen Zeichnungen nicht der Versuch einer Antwort. Vielmehr stellen diese Bilder Fragen. Das Ungewisse, das in den Dunkelheiten zur Form gerinnt, ist auszuhalten. In diesem Sinne sind Monika Bugs' Zeichnungen Zumutungen für den Betrachter. Hic sunt leones, Ungeheuer, die im Dunkeln darauf warten, uns hinabzureißen. Wenn wir uns jedoch darauf einlassen, auf die Schrecken, auf die Abgründe, die letztlich nicht die Schrecken und Abgründe der Welt sind, sondern unsere eigensten, wenn wir, um ein Wort des Dichters Manfred Hausmann zu variieren, ins Dunkel gehen, weil wir des Lichts begehren, finden wir in diesen weglosen Räumen Wege. Die Spannung, die es dabei auszuhalten gilt, ist die Differenz zwischen dem Unbedingten des Erkenntnisanspruches, den die Zeichnungen vertreten, und dem gleichwohl filigranen Gestus der Schraffuren, dem durchaus Weiblichen der zwischen Amorphem und Form changierenden Linien. Das Intime, an dem der Betrachter im Flüstern der Katze Teil haben darf, ist von souveräner Verletzlichkeit. Das ist die Definition von Kunst, die Monika Bugs in diesen Arbeiten entwickelt - souveräne Verletzlichkeit. Priv. Doz. Dr. phil. Sikander Singh Universität des Saarlandes Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass Eröffnungsrede zur Ausstellung Flüstern der Katze. Monika Bugs - Zeichnungen Union Stiftung, Steinstraße 10, 66115 Saarbrücken 11. September bis 11. Oktober 2011 Informationen: Monika.Bugs[at]t-online.de |